Dieser Artikel wird dir präsentiert von:
– einem Haufen gescheiterter vorheriger Formulierungsversuche
– einem vollen Papierkorb unausgereifter Entwürfe
– Am langen Arm verhungerte Ideen

Mein zweiter Blogartikel erblickt das Licht der Welt. Aufregend. Dieser Blog hier ist einer der ersten Grundsteine, die ich als Fundament meiner Selbstständigkeit lege. Und was hat es nicht alles an Scheitern gebraucht, bis ich es hierhin geschafft habe. Zuletzt war es sogar ein Herzensprojekt, das mir wahnsinnig viel Spaß und Sinn gegeben hat. 

Nicht nur kreative Projekte sind mir durch die Finger geglitten. Auch Jobs, Lebenspläne, Beziehungen, Ideen sind misslungen. Ich habe in meinem Leben schon so viele Anläufe genommen und bin auf die Nase gefallen. Musste mir immer wieder eingestehen: Das Leben und all seine vielfältigen Bereiche verlaufen nicht graduell in Richtung „Erfolg“. Und obwohl wir das alle irgendwie kognitiv wissen,… begreifen wir das wirklich? Was hält uns (und ich schreibe bewusst „uns“, weil ich mich da absolut mit einbeziehe) davon ab, Scheitern als Chance zu begreifen und nicht nur als etwas, das es mit allen Mitteln zu verhindern gilt?

Scheitern ist ein soziales Konstrukt

Wenn ich über das Scheitern nachdenke, fallen mir zwei Aspekte besonders stark auf:

Wir wollen nicht scheitern, weil wir Schmerz vermeiden wollen, der damit einhergeht. Dieser Schmerz ist auch ein kollektiver, daher ein paar Worte zur gesellschaftlichen Prägung des Scheiterns:

Vorweg meine Frage an dich: Was sind deine Ideen dazu, wie unsere Gesellschaft mit Scheitern umgeht? Wie ist es konnotiert? Wie werden Geschichten über das Scheitern in Popkultur und Medien erzählt?

Meine bescheidene (und sicherlich nicht vollständige/perfekte/bei allen Zustimmung findende) Antwort: Wir leben in einer individualistischen Leistungsgesellschaft. Dadurch, dass hier angenommen wird, Erfolg entstehe ausschließlich auf der Grundlage von Leistung und Talent, liegt bei Scheitern die Schlussfolgerung nahe: Ich bin selbst schuld. Mit mir stimmt etwas nicht. Ich muss mich verbessern! Ich muss mehr (an mir) arbeiten! Vielleicht kaufe ich ein Coaching Programm!!!!! UND NOCH EINS!!!! (ich schweife ab…)

 Es ist also auch eine ganz „normale“ Reaktion, erstmal Scham oder Selbstablehnung zu empfinden in einem System, in dem genau das eine wichtige Funktion hat. Oder?

Mit der sozialen Konstruktion von Scheitern=Niederlage wird die Wertschätzung von Fehlern (die ja absolut menschlich sind, das brauche ich hier ja niemandem zu erklären) ja irgendwie im Keim erstickt. Angst und Druck entsteht, was wiederrum Auswirkungen auf das hat, was wir von unserem Leben preisgeben wollen. Indem Menschen aus Scham ihre Fehler, ihre Rückschläge und ihr Scheitern wie einen Makel verdecken und hauptsächlich die positiven Erfolgsmomente teilen, entsteht das Bild einer holzschnittartigen Muster-Person: Schulabschluss, Studium, Reisen, Karriere, Eigenheim (wobei: heute eher unwahrscheinlich), Frau, Kind (das sich auch vorbildlich entwickelt), Hund, irgendwann Enkel.

Dieser Dynamik kann zu einer Verzerrung unserer Wahrnehmung führen: Ich- das Mängelexemplar. Die anderen- bei denen immer alles klappt und aussieht wie im Katalog. So viel wurde schon zu diesen Themen geschrieben: wir vergleichen uns zu stark und haben dabei meist das Nachsehen. Und trotzdem: Glaubt eigentlich irgendjemand wirklich an dieses Ideal des graduellen Lebensentwurfs der anderen? Ich kann es mir kaum vorstellen. Dennoch behandeln wir uns und unsere Lebensentscheidungen genau so, als wäre es der einzig gängige Weg: wir streben nach Perfektionismus, haben so große Angst, dass es mit unseren Herzensprojekten nicht klappt, dass wir gar nicht erst beginnen. Denn nur „Erfolg“ bringt Anerkennung…oder? Was ist überhaupt „Erfolg“? 

Ausprobieren und ein paar Schritte in die „falsche“ Richtung gehen, um dann vielleicht woanders abzubiegen oder gar umzukehren? Nicht auszudenken!
Gibt es eine Perspektive auf Erfolg, die dir einfällt, bei denen dies eine Option wäre? Wie fühlt sich diese Perspektive für dich an?

Natürlich ist es nicht schwarz-weiß: Im Unternehmertum herrschen hingegen auch oft schon andere Ansätze: Fast-Failure lädt uns dazu ein, Fehler zu machen und mit intelligentem Scheitern schnell zu lernen und zu wachsen. Scheitern als strategischer Schritt, auch interessant.

Wir dürfen durch Scheitern Verlorenes betrauern und gleichzeitig Scheitern an sich als Chance wahrnehmen.

Man hört ja so oft „Scheitern gehört dazu“ oder „aus Fehlern lernt man“. Das stimmt auch beides. Doch so sehr wir uns auch darüber bewusst sind, dass sich mit jeder Tür, die sich schließt, auch zwei andere öffnen: Scheitern tut weh! Wir brauchen uns nicht schämen, dass wir uns furchtbar fühlen, wenn ein Projekt, eine Beziehung oder ein Plan scheitert. Bevor wir mit etwas scheiterten, haben wir es vielleicht geliebt, Spaß gehabt, Sinn empfunden, Bedürfnisse befriedigt, Anerkennung erfahren, Sicherheit gespürt. NATÜRLICH tut es weh, wenn wir es (meist unfreiwillig) verabschieden und damit künftig auf einen oder mehrere dieser Bedeutungsaspekte verzichten müssen.

Und es stellt sich ja auch die Frage, wohin mit diesem Schmerz? Sich (zu lange) wegen eines misslungenen Vorhabens zu grämen oder zu trauern, schickt sich nicht und ist auch im öffentlichen Raum quasi unsichtbar. Auch wenn zumindest in meiner Bubble diesbezüglich eine Veränderung spürbar ist und auch Trauer, Schmerz und Wut in Instagram Posts vermehrt authentisch geteilt werden. Wie ist das bei euch?
Häufig werden wir von unseren Nahestehenden Menschen direkt zu der Perspektive animiert, das ganze positiv zu sehen: Beziehung vorbei? Der/die war eh toxisch! Sei froh, dass du die Person los bist! Job vorbei? Endlich mehr Zeit und keine nervigen Kolleg*innen/Vorgesetzten mehr! Du bist hingefallen? Steh wieder auf, lern‘ aus deinem Fehler und mach es dann besser!

Bitte… gebt euch den Raum zu trauern. Macht euch das Geschenk des produktiven Selbstmitgefühls (und ja, ihr habt dieses Geschenk verdient- Nicht trotz sondern wegen des Scheiterns!). Hierzu gibt es auch einen weiteren Blogpost.

Kleine Reflektion:

Fühl‘ gern in dich hinein und schau, welche Bilder und Assoziationen bei dir aufkommen, wenn du an Fehlermachen, Scheitern und Hinfallen denkst. Welche Emotionen begleiten diese Momente, in denen du feststellst: „das hat nicht geklappt“? Wie (un-)freundlich bist du mit dir selbst in Situationen, in denen du Fehler machst?

Und wenn du jetzt den folgenden Satz liest, welche Dinge gehen dir dann durch den Kopf und den Körper?

Scheitern tut weh und es ist okay, es (z.B. durch Leistung/Disziplin etc.) abwenden oder vermeiden zu wollen. Es kann gleichzeitig das Beste sein, was dir passieren kann.
Das scheint paradox. Allein das zu Schreiben hat mich an einen kleinen kognitiven Widerstand gebracht und ich musste immer wieder für mich prüfen: Fehlerfreundlichkeit und gleichzeitig Leistungswillen? Das geht?
Die Bereitwilligkeit, scheitern zu begrüßen bedeutet NICHT, dass wir nicht an Liebgewonnenem festhalten sollten, nicht für unser gefundenes Glück kämpfen dürfen. Es geht nicht darum, völlig „detached“ (englisch für: nicht anhaftend, losgelöst) oder gleichgültig durchs Leben zu gehen.
Wenn wir die Möglichkeit zum Scheitern bewusst annehmen, dürfen wir uns immer noch Mühe geben.
Für mich eine ganz neue Perspektive, die ich noch viel stärker in meine Arbeit einfließen lassen möchte.

Und eine weitere Frage ist: Ist denn überhaupt jeder Fehler ein Scheitern? Wann ist etwas wirklich gescheitert? Gibt es ein Spektrum?

Nun tatsächlich mal zur positiven Seite der Medaille:
Scheitern ist der Beginn von kreativen Prozessen. Ich habe auf meinem Weg des Misslingens gelernt, dass die Unsicherheit, die mit der Leere eines Verlusts einhergeht, das größte Potential für neue Inspiration und kreativen Ausdruck birgt. Die Voraussetzung dafür war immer die vorherige Trauer und das Würdigen des Verlusts von etwas, in das ich Hoffnung gesteckt habe.
Das Nicht-Wissen um das Potential dieser Leere ist machtvoll und magisch, wenn wir es mit Würde tragen. Jedem Anfang liegt ein Zauber inne, und so. Manchmal tun sich Wege und Möglichkeiten auf, die wir ohne das Scheitern nie in Betracht gezogen hätten. Glaubt mir: Das ist nur so lange ein schlechter Trost, bis wir uns wirklich voller Bereitwilligkeit auf die Neue Lebenssituation einlassen.

Ich habe mich in der Vergangenheit so schwergetan, einfach loszulaufen. Mit einer unperfekten Idee, einem lückenhaften Plan. Trotz Unklarheit einen Schritt vor den nächsten zu setzen. Diese gefühlte Unsicherheit des Ungewissen und die realistische Möglichkeit auszuhalten, dass es auch nicht klappen kann. In mir den Raum bereitzuhalten für Ehrgeiz (um zu bewahren), Trauer (um loszulassen) und neuen Mut (um wieder aufzustehen).
Jetzt stehe ich hier mit meinem „Jetzt erst recht“.
Und irgendwas ist anders.

Übrigens: Zu diesem Thema habe ich eine Podcast Episode produziert. Hör gern mal rein!

Tags:

One response

  1. Danke Ronja für diesen Artikel! Ich musste direkt am Anfang grinsen, bei deinem kreativen opening ;D
    Das Scheitern geht meiner Meinung nach auch sehr häufig mit Scham einher, weil man dann gefühlt Rechenschaft darüber ablegen muss, warum man es nicht vorhergesehen hat bei der Entscheidung. Ein weiterer Punkt ist glaube ich auch, dass viele enge Bezugspersonen mit dieser Leere der gescheiterten Person nicht umgehen können und sofort einen neuen Plan, Weg finden wollen, für die die Person noch nicht bereit ist, weil sie erst loslassen muss. Gerade als erwachsene Person geht es mit häufig so, dass ich denke: ich muss doch in der Lage sein die Richtige Entscheidung zu treffen und alle möglichen Sollbruchstellen vorhersehen. Aus der Angst mich erklären zu müssen.
    Aber wer kann das schon?
    Danke für den Einblick und den Hinweis vielleicht die Unsicherheit einfach auszuhalten und einen Schritt nach dem anderen zu gehen <3

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert